Predigt in der St. Martini-Kirche Lenglern am Ostermontag 2015
Es brennt! Vor drei Wochen sah ich aus dem Fenster und vor lauter Qualm konnte ich das Nachbarhaus nicht mehr sehen. Es brennt! Die Feuerwehr machte sich schon an die Arbeit. Voller Einsatz, hohes Risiko. Wenn es brennt, dann muss man was tun! Und zwar sofort.
Es brennt! Der große Haufen aus Ästen und Zweigen war noch durchtränkt vom tagelangen Regen- und Schneefall. Eine Menge Brandbeschleuniger war nötig, viel Ausdauer und Hartnäckigkeit. Doch jetzt brennt es endlich, das Osterfeuer. Die Dunkelheit bricht herein und sein Schein ist weit durch das Tal zu sehen. Es brennt! Doch das, was brennen soll, ist nicht immer leicht zu entfachen.
Es brennt! Es brennt in mir. Es brennt mir auf den Nägeln und in der Seele und im Herzen. Es brennt und ich kann nicht stillsitzen. Ich kann nicht stillschweigen. Ich kann nicht anders, denn es brennt!
Lukas 24
Zwei der Jünger von Jesus wanderten zu einer Ortschaft mit Namen Emmaus, die etwa dreißig Kilometer von Jerusalem entfernt war. Dabei sprachen sie über all diese Ereignisse. Während sie so miteinander im Gespräch waren, kam Jesus selbst nahe an sie heran und wanderte zusammen mit ihnen. Doch ihre Augen waren verdeckt, sodass sie ihn nicht erkannten. Da stellte er ihnen die Frage: „Was sind das für Dinge, die ihr hier besprecht, während ihr miteinander auf dem Weg seid?“ Traurig blieben sie stehen. Einer der beiden, der Kleopas hieß, antwortete ihm: Warst du der einzige Besucher in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen in der Stadt geschehen ist?“ Jesus fragte sie: „Was denn?“ Sie antworteten: „Das mit Jesus von Nazareth! Der war ein Mann, der zum Propheten berufen war. Er war mächtig in Tat und Wort, sowohl vor Gott als auch vor dem gesamten jüdischen Volk. Den haben unsere obersten Priester und Regierenden ausgeliefert, um ihn zum Tod zu verurteilen und kreuzigen zu lassen. Und wir hatten doch unsere Hoffnung darauf gesetzt, dass er derjenige ist, der dem Volk Israel die schon lange erwartete Befreiung bringt.
Es hat gebrannt – er hat gebrannt. Ein Prophet. Ein Prophet musste er sein. Das ist einer, der brennt. Der stört. Der redet, wenn andere schweigen. Der sich den Mund nicht verbieten lässt. Einer der aufrüttelt. Der sich nicht anpasst. Ein Revolutionär. Ein Querdenker. Ein Begeisterter. Die einen haben sich anstecken lassen von seinem Feuer. Die anderen sahen in ihm und seinen Worten einen Schwelbrand, den man ersticken muss, bevor er sich ausbreitet, bevor er zum Flächenbrand wird.
Es brannte in ihm und um ihn herum. Und die Jünger dachten: Die Flammen werden wachsen und um sich greifen und dann wird alles verbrannt was uns noch hält und gefangen setzt. Ein mächtiges, ein reinigendes Feuer sollte von ihm ausgehen, damit Israel endlich wieder frei ist.
Jetzt sind sie Jünger enttäuscht. Mutlos. Alleingelassen. Sehen nur sich und ihre verlorenen Hoffnungen. Was wir uns erhofft und gewünscht haben, hat er nicht erfüllt. Er hat uns enttäuscht. Er war nicht der, den wir brauchten. Der Flächenbrand blieb aus. Der Funke wurde erstickt.
Sie erzählen dem Fremden, der sie begleitet, weiter: „Darüber hinaus ist es heute schon der dritte Tag, seitdem das geschehen ist. Außerdem haben uns einige von den Frauen, die zu uns gehören, in Aufregung versetzt. Die waren früh am Morgen am Grab. Dort haben sie den Körper von Jesus nicht gefunden. Sie kamen zu uns zurück und sagten, dass sie eine Erscheinung von Engeln gesehen hätten, und die hätten gesagt, dass er lebendig sei. Einige von uns sind dann zum Grab gegangen und haben es so vorgefunden, wie die Frauen es gesagt haben, aber ihn selbst haben sie nicht gesehen.“
Die haben auch irgendwie gebrannt, diese Frauen. Die. Ja, vielleicht. Aber ich? Lass mich bloß zufrieden in meiner Selbstbezogenheit. Lass mich baden in meinen Enttäuschten Hoffnungen. Komm mir nur nicht mit sowas.
Aber was müsste eigentlich passieren, damit ich es glaube?
„Ich würde das ja alles gerne glauben. Das mit Ostern. Mit Gott und Jesus. Mit Tod und Auferstehung. Dass das alles was mit meinem Leben zu tun hat. Dass er mich und die Welt verändern kann. Dass er mich und meine Schuld, meine Selbstbezogenheit, meine enttäuschte Hoffnung heilt. Aber ich kann einfach nicht. Jesus müsste mir schon persönlich begegnen. Dann vielleicht. Er müsste sich mir zeigen. Damit ich glaube, dass es ihn gibt. Dass es einen Sinn im Leben gibt. Damit ich nicht mehr nur um mich selbst kreise. Damit ich angesteckt werde vom Funken. Damit etwas in mir zu brennen beginnt.
Ist das eigentlich zu viel verlangt? Ist es zuviel verlangt, dass wir ihm persönlich begegnen? Schließlich sollen wir das alles einfach so glauben. Und überhaupt: Wer soll das noch glauben! Da ist ein Mann gekreuzigt worden vor über 2000 Jahren. Damit ich das glauben könnte, müsste er mir schon persönlich begegnen, der Auferstandene.
Es kann doch nicht zu viel verlangt sein! Es ist sogar der einzige Weg. Wer das glaubt, der muss ihm persönlich begegnet sein. Glauben kommt nicht vom Hörensagen. Das hören, was andere sagen, reicht nicht. Um zu glauben, muss ich ihm persönlich begegnen.
Da sagte er zu ihnen: „Ihr seid wirklich unverständig und eure Herzen sind unbeweglich geworden! So könnt ihr dem nicht Glauben schenken, wovon doch alle Propheten gesprochen haben. War es nicht unbedingt notwendig, dass der Messias dieses Leiden auf sich nimmt und dadurch dann zu der ihm zustehenden Ehrenstellung kommt?“ Dann fing er an bei den Büchern von Mose und von allen Propheten und erklärte ihnen das, was in all diesen heiligen Schriften über ihn ausgesagt wird.
Er erklärt. Ist der Glaube also etwas, das man erklären kann? Das man mir erklären muss? Gut, dass wir unseren Verstand haben, um zu denken. Um nachzuvollziehen. Um zu hinterfragen. Und gut erklärt ist all das mit Gott und Jesus vielleicht auch logisch. Die Bibliotheken sind voll von dogmatischen Entwürfen, die erklären, wie es sich verhält. Mit Gott und der Welt. Mit Jesus und den Menschen. Und doch ist der Verstand ein wankelmütiger Glaubenszeuge. Denn das, was ich glaube, verstanden zu haben, kann ich oder ein anderer im nächsten Moment wieder hinterfragen. Neue Einsichten lösen alte ab. Forschung, Wissenschaft und ich zermarten sich das Hirn und kommen doch zu keinen endgültigen Antworten. Nichts genaues weiß man nicht, auch wenn man meint: Ja, so könnte es sein. Und wo man etwas nicht sicher weiß, da hilft wohl nur: Es über Bord werfen. Oder glauben.
So kamen sie in die Nähe des Dorfes, zu dem sie unterwegs waren. Da tat Jesus so, als wollte er weitergehen. Doch sie redeten auf ihn ein und sagten: „Bleib doch bei uns, denn der Mittag ist schon vorüber und der Tag neigt sich zum Abend hin!“ Da ging er in das Haus, um bei ihnen zu bleiben.
Bleibe bei uns! Es ist fast, als würden sie etwas ahnen. Bleibe bei uns. Geh nicht weiter.
Sie kreisen um sich selbst, sie versinken im Sumpf ihrer Trauer. Und dann kommt da einer von außen dazu. Einer mit einem anderen Blickwinkel. Etwas beginnt. Etwas hat schon begonnen in diesem Moment, das sie sagen lässt: Bleibe bei uns! Lass uns nicht wieder allein mit unserer Hoffnungslosigkeit. Denn dann war es wohl wieder nur alles umsonst. Bleibe bei uns. Damit wir nicht mehr nur wir sind, sondern wir und du. Bleibe bei uns. Und er bleibt. Fast ist es, als wollte er gebeten werden. Denn er tat, als wolle er weitergehen. Als hätte er gewartet auf die Bitte: „Bleibe bei uns“. Er drängt sich nicht auf. Ein höflicher Besucher. Zurückhaltend. Ein Gentleman.
Noch ahne ich nur, dass du es bist, der mich anspricht. Ein Gedanke, eine Idee, ein Gefühl hinten im Kopf, ganz unten im Bauch. Da ist etwas, ich bekomme es kaum zu fassen. Daran muss etwas sein. Wie ein Rettungsanker, wie die Hoffnung nicht wieder nur allein zu sein mit mir und meiner Trübsal. Mit mir und dem, was mir nicht hilft. Und das lässt mich zu dir sagen, zu dir, den ich noch nur erahne und nicht recht erkenne: Bleibe bei mir!
Dann geschah es: Als er mit ihnen am Tisch saß, nahm er das Brot, sprach das Dankgebet, brach es in Stücke und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten Jesus. Doch er wurde unsichtbar für sie.
Sie erkannten ihn. Sie erkannten, dass er mehr war als nur ein fremder Schriftgelehrter Nachdem er ihnen den Verstand geöffnet hat, und dann die Herzen, öffnet er ihnen nun die Augen. Im Brotbrechen. Genau wie vor ein paar Tagen, an diesem Abend, als sie zusammensaßen und das Schreckliche sich ankündigte. Hatte er es da nicht selbst gesagt? Es muss so kommen. Na klar, er hat mehr als einmal davon gesprochen. Er muss verhaftet werden und sterben. Und auch davon, dass er wiederkommen wollte, hat er gesprochen. Und das, was sie nur gehört, und dann verstanden haben, sackt ins Herz. Er ist es. Er ist derselbe, den wir vorher kannten. Und doch ist er ganz anders.
Und wo bin ich unverständig und unbeweglich? Wo redet er mir ins Gewissen? Kann ich ihn hören und verstehen? Aber mehr als das ist nötig. Es, nein, er muss ins Herz sacken, damit ich glauben kann. Er gibt sich mir zu erkennen und tut mir damit die Augen auf. Für ihn. Für mich. Für die Wirklichkeit. Damit ich glauben kann.
Doch als sie noch einmal hinsehen, ist er nicht mehr da. Schon wieder verschwunden? Schon wieder allein. Nein, denn jetzt haben sie ihn im Herzen. Und sie beginnen, zu glauben, zu brennen.
Da sagten sie zueinander: „Hat unser Herz nicht gebrannt, als er mit uns auf dem Weg redete und uns das Verständnis des Gottesbuches eröffnete?“ So standen sie in derselben Stunde auf und liefen wieder nach Jerusalem zurück.
Es ist wie ein Funke. Wie ein lodern. In den Augen nur zuerst. Doch es beginnt, sich auszubreiten. Auch andere anzustecken. Er ist ihnen begegnet – und es hält sie nichts. Sie müssen zurück zu den anderen und ihnen davon berichten. Es brennt in ihnen. Ein mächtiges, reinigendes Feuer in ihrem Innern. Was kalt und hart war, verbrennt. Und die Flammen bleiben nicht, wo sie sind. Sie schlagen nach außen.
Wie ein Funke. Wie ein lodern. In den Augen zuerst. Im Herzen. Im Bauch. Es brennt dann auch auf den Nägeln, wenn er uns begegnet. Wenn er, der Auferstandene mir begegnet, dann gibt es kein Halten mehr. Wenn ich doch nur so brennen würde. So brennen könnte. Wenn er mir doch persönlich begegnen würde!
Wir feiern Ostern mit großen Feuern und brennender Freude. Halleluja: Das Leben besiegt den Tod!
Und doch feiere ich Ostern mit einem sehnsüchtigen Wunsch: Dass ich ihn nicht nur vom Hörensagen kenne. Dem sehnsüchtigen Wunsch, ihm zu begegnen, dem Auferstandenen. Ich wünsche mir, dass er mir den Sinn und die Augen öffnet. Dass er sich zu erkennen gibt. Dass er mir ins Herz rutscht. Und dass es beginnt zu brennen. Und wenn es brennt, dann kann man nicht stillsitzen. Wenn es brennt, kann man
nicht schweigen und nur zusehen. Wer brennt, der muss es weitersagen. Und wer brennt, kann andere entzünden.
Bis es brennt, dauert es manchmal. Manchmal braucht es Mühe und Zeit, bis das Feuer entfacht ist. Eine Menge Brandbeschleuniger.
Die zwei Männer auf dem Weg nach Emmaus waren nur bei sich. Enttäuscht. Verletzt. Verbohrt. Voller Selbstmitleid. Doch die Begegnung mit Jesus hat sie verändert. Hat sie entfacht.
Und wo bin ich?
Ich und meine Sorgen. Ich und meine Probleme. Ich und meine unerfüllten Wünsche. Ich und meine Unzufriedenheit, meine Ungeduld, meine Angst. Die Ungerechtigkeit, die ich erlebt habe. Ich und ich und ich. Was ist da kalt und hart in mir?
Und ich kann nicht anders, als zu beten:
Auferstandener Jesus, komm und rüttele mich auf. Komm und wecke meinen Verstand. Komm und öffne mir die Augen. Komm und schüre du die Glut, die da unten in mir fast zu erlöschen droht. Komm und entfache das Feuer neu. Damit es brennt. In meinem Herzen. Auf meinen Nägeln. Verbrenne, was in mir kalt und hart und unverständig ist. Damit ich nicht mehr stillsitzen kann. Damit ich aufstehe und gehe. Damit ich sehe und verstehe. Damit ich glaube. Du musst mir begegnen. Du musst mich berühren. Damit ich brenne.
Amen.
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